22. November 2024

Über Remakes, Remaster und die Sache mit dem Schaf

Schafe haben etwas Beruhigendes an sich. Das weiß jeder, der sich schon einmal auf eine Wiese gesetzt und versucht hat eine Herde zu zählen. Eins, zwei, drei, zehn, vierundzwanzig und die Äuglein fallen zu. Nun, vielleicht ist das auch ein Klischee, wer weiß das schon. Aber dem ein oder anderen soll es schon so ergangen sein – und das ist es letzten Endes ja, was zählt.

Nun, was haben Schafe denn eigentlich mit Videospielen zu tun? Mal abgesehen von dieser einen Quest in diesem einen Rollenspiel, wo man sie einfangen und zurück in das Gehege führen muss? Oder dieser anderen Quest in einem anderen Spiel, wo man das Unsagbare tun und Wolle und Fleisch looten muss?

Nun, es war ein Schaf, das mich zu diesem Artikel inspirierte, beziehungsweise das Bildnis eines Schafes, um etwas genauer zu sein. Und wenn wir nun ganz genau sein wollen, dann reden wir über das berühmte Gemälde Die Anbetung des Lamm Gottes der Gebrüder van Eyck, das wir am Genter Altar finden können. Nun keine Angst bitte, dies wird kein sakraler Text und ich verspreche euch, dass wir in Kürze zu Videospielen kommen werden.

Aber seht euch das Gemälde doch erst einmal im Ausschnitt an…

So sah das Gemälde lange Zeit aus, ehe es vor einiger Zeit restauriert wurde, um plötzlich zum Gespött des Publikums zu werden. Denn vor allem das Schaf machte während der Restauration eine erstaunliche Verwandlung durch.

Auf der linken Seite sehen wir das “Original” und auf der rechten die “neue Version” nach den Restaurationsarbeiten. Sieht nicht unbedingt aus, wie ein Schaf, oder?

Nun, der wichtige Punkt ist aber der, dass die rechte Version dem entspricht, was ursprünglich zu sehen war und die linke Version das Ergebnis eines vorherigen Restaurationsversuches war. Wirklich wahr, ja.

Gerade zu früheren Zeiten wurden Gemälde häufig auf eine zeitgenössische Art und Weise restauriert, sprich mal nahm das Bild und passte es an den aktuellen “Trend” an. Ließ es beispielsweise realistischer wirken oder entfernte sogar Details, um sie an die jeweilige “Mode” anzupassen.

Und das ergibt kulturell betrachtet selbstverständlich auch Sinn, keine Frage. Während des Schaf in diesem Fall seinen festen Platz hatte, wollten viele Besitzer andere Gemälde neue Käufer finden, doch kaum jemand wollte wohl ein Bild mit abblätternden Farben, auf denen eventuell auch noch Dinge gezeigt wurden, die man sich partout nicht mehr in den Speisesaal hängen wollte. Natürlich gab es damals wie heute Sammler mit einem ausgeprägten Bewusstsein für das Originale, das Werk des ursprünglichen Künstlers. Aber eben auch andere. Und so wurden die besagten Bilder einfach übermalt, um interessanter und gefälliger zu wirken.

Und damit schlagen wir nun hoffentlich eine kleine Brücke zu den in der Überschrift genannten Remaster- und Remake-Versionen diverser Videospiele. Handelt es sich dabei nicht auch “nur” um restaurierte Versionen bereits veröffentlichter Kunst (-Geschichte)? Und beobachten wir nicht auch hier Veränderungen im Design, um sich an die jeweilig aktuelle Mode anzupassen?

Selbstverständlich gibt es einige Unterschiede zu Der Anbetung des Lamm Gottes. Zum einen bleibt bei dieser Form der Videospiele-Restauration grundsätzlich das Original erhalten. Man überpinselt es nicht und – sollte es nicht gerade durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse verloren gehen – wir können immer darauf zurückgreifen, um es in seiner eigentlichen Form erleben zu können.

Dies spielt aber in den zweiten Punkt mit hinein, denn wir müssen die Unterscheidung machen, ob es sich um ein Remaster, also eine technisch aufpolierte Fassung eines Spieles, das auf aktuellen Geräten lauffähig gemacht wird, handelt, oder eben ein komplettes Remake. Bei letzterem bleibt das Spiel grundsätzlich erhalten, wird aber von Grund auf neu entwickelt. Man nimmt also quasi das Gemälde, kopiert es 1:1, löst es aus dem Rahmen und übermalt es. Die Pinselführung wird moderner, der Stil realistischer und die Hintergründe passen sich besser an jene allgemeine Stimmung an, die wir konsens-mäßig als schön bezeichnen würden.

Es ist natürlich eine gewinnorientierte Methode, um gleichzeitig den jeweiligen Trend zu befriedigen und die erwähnten Gewinne zu maximieren. Denn gleichzeitig können Fans oder Bewunderer des Originals, sowie neue Käufer angesprochen werden.

Sehr schön sieht man diese Veränderung am 2019 veröffentlichten Remake des Kult-Survival Horrorspiels Resident Evil 2. Szenario und Handlung des Titels wurden (beinahe) 1:1 übernommen und in ein neues Gewand verpackt, das man zudem noch um neue Möglichkeiten und Sequenzen erweiterte. Denn diese Form der Restauration ermöglicht es eben auch die frühere Vision auf eine neue Art und Weise umzusetzen, oder Lücken auszubessern, die man beim Original-Release aus Zeit- oder Geldgründen hat klaffen lassen müssen.

Das Remake von Resident Evil 2 nimmt Schauplätze und Handlung des Originals und erweitert es. Das Gameplay wurde zudem an moderne Spielerwünsche angepasst.

Wollen wir Videospiele nun wirklich und endgültig als Kunstform betrachten und anerkennen, so müssten wir zu dem Schluss kommen, dass auch diese Kunst erhalten bleiben muss. Für nachfolgende Generationen womöglich, für Sammler, Liebhaber, für Experten oder einfach um die Chronik unserer Zeitgeschichte in ihrer Vollständigkeit bewahren zu können.

Zum Glück können wir die Originale aber aufgrund unseres technologischen Fortschritts und (zumindest theoretisch) komplett erhalten. Wir müssen nicht über den Source Code oder die originalen Assets pinseln, um ein moderneres Ergebnis zu erzielen. Diesen Vorteil haben wir gegenüber dem Genter Altar oder vielen anderen kunsthistorischen Beispielen. Wir setzen eine Tradition fort, die nunmehr keine Opfer mehr fordert, bei der wir nichts mehr verlieren, wenn wir ihr treu bleiben.

Und sie erlaubt uns als Menschen, beziehungsweise den Entwicklern in ihrer beruflichen Position, Änderungen und Anpassungen vorzunehmen, neu zu interpretieren oder sogar Dinge zu entfernen. Hier ist das aktuelle Final Fantasy VII Remake ein wundervolles Beispiel. Es ist ein Remake im wortwörtlichsten Sinne und die Änderungen wirken mitunter gigantisch. Hier treffen Anpassungen an den modernen SpielerInnen-Geschmack auf Neuinterpretation und Erweiterung.

Viele Fans des Originals haben sich nun beschwert, dass die Änderungen zu weitreichend seien und es nicht mehr das Spiel ist, dass man 1997 zum ersten Mal hat spielen können. Das mag sein. Wirklich, das mögen sogar legitime Punkte sein, je nach Perspektive. Aber im Gegensatz zu Der Anbetung des Lamm Gottes bleibt Final Fantasy VII konserviert erhalten.

Eine Zeitreise zum Original-Release ist jederzeit und auf nahezu jeder Plattform möglich. Zugegebenermaßen meist in Form des Remaster, das sich an das 16:9-Format der meisten aktuellen Geräte angepasst hat. Aber es ist das kleinere und letzten Endes wahrscheinlich sogar bessere Übel. Puristen müssen mehr Geld für die Original-Maschine nebst Diskversion erwerben, aber mal ehrlich, wer ein Original-Gemälde besitzen möchte, muss auch etwas tiefer in die Tasche greifen. Ansonsten tut es auch ein Kunstdruck.

Warum nun all das? Warum dieser Artikel über Remakes, Remaster und die Sache mit dem Schaf?

Es ist zutiefst menschlich in die eigene Vergangenheit zu blicken. Denn was wir in dieser erlebt haben, definiert uns in der Gegenwart. Gemälde, die wir gesehen und die uns gefallen haben, prägten unseren Geschmack, Musik, die wir zu einer bestimmten Zeit gehört und Filme, die wir gesehen haben, können uns auch in der Zukunft noch einer plötzlich über uns brandenden Welle konservierter Gefühle ausliefern. Und das gilt auch für Videospiele.

Kunst hat diese Fähigkeit an sich, zu beeinflussen und zu formen. Aber Kunst, beziehungsweise deren allgemeine Wahrnehmung kann sich im Laufe der Zeit auch wandeln.

Zu behaupten, dass den Entwicklerstudios nichts besseres mehr einfalle als alte Spiele neu aufzulegen, ist ein Vorwurf, den man häufiger hört. Und aus einer rein kapitalistisch geprägten Perspektive mag da etwas dran sein. Aber wenn wir darüber reden wollen, dann auch über die alte Krux mit dem Angebot und der Nachfrage.

Viele Remaster und Remakes werden eben auch entwickelt, weil es eine Nachfrage dafür gibt. Weil wir in die Vergangenheit blicken und uns an die Schönheit eines Gemäldes namens Videospiel erinnern. Und an den Spaß, die Spannung, das Gameplay. Wir leben immer mit einem Fuß in der Vergangenheit und mit einem in der Gegenwart, den Blick im besten Fall nach vorne gerichtet.

Auch eine Form der Aufrechterhaltung originaler Videospielekunst, das Super Nintendo Classic Mini

Und was ist eigentlich falsch daran die Essenz unserer Erinnerung in einer restaurierten Form zu veröffentlichen? Jene, die sich nicht dafür interessieren, werden es nicht kaufen. Die Sammler und Liebhaber freuen sich schon über die Möglichkeit.

Obwohl ich persönlich beispielsweise jederzeit die Möglichkeit hätte den Original-Release von Shadow of the Colossus zu spielen, präferiere ich das Remake für die PlayStation 4. Und sollte Electronic Arts irgendwann tatsächlich eine Remaster- oder Remake-Trilogie von Mass Effect für aktuelle oder kommende Konsolen veröffentlichen, ist diese schneller gekauft als ich die Motivation finden werde, die Spiele auf meiner Xbox 360 erneut zu spielen.

Veränderungen sind nur subjektiv gut oder schlecht. Die Restauration und somit das Aufrechterhalten eines Klassikers ist indes wichtig, um unsere Geschichte am Leben zu erhalten. Und dass wir nun an einem Punkt angekommen sind, an dem wir das Original nicht zwangsläufig verlieren, wenn wir die Quintessenz in ein modernes Gewand kleiden, ist dem Fortschritt zu verdanken. Und es ist gleichzeitig auch jener Fortschritt, der uns Jahrhunderte später hat erkennen lassen, dass das Schaf so ursprünglich gar nicht aussah.

Wie steht ihr zu Remakes und Remaster-Versionen klassischer Titel?

Und woran messt ihr ihren Wert für euch? Lasst es uns wissen!