Nun war es soweit und ich konnte mich nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder auf den Sattel eines Motorrads schwingen. Was ich im realen Leben bereits seit gut sechs Jahren nicht mehr getan habe, habe ich in der virtuellen Realität noch nie gemacht. Dementsprechend habe ich mich natürlich darüber gefreut, mich ausgiebig mit Ride 4 aus dem Hause Milestone befassen zu dürfen.
Wie komplex diese Simulation ist und warum ich es immer wieder gerne in die Soulslike-Schublade stecke? Das versuche ich euch mit dem nachfolgenden Test ein wenig näher zu bringen.
Und rein ins kalte Wasser
Veröffentlicht wurde Ride 4 am 8. Oktober dieses Jahres. Dementsprechend viel Zeit habe ich auch mit dem Titel verbringen können. Anfänglich bin ich – zugegeben, etwas euphorisch und naiv – an das Rennspiel herangetreten. Ich habe mich auf einen arcadigen Racer eingestellt, in dem ich Rundenzeit um Rundenzeit schlage und mich selber souverän über die Strecken unseres Planeten manövriere. Natürlich alles von Erfolg gekrönt. Ohne weitere Schwierigkeiten.
Pustekuchen! Zuletzt hatte ich mit Driveclub vergleichbare Probleme. Auch hier hat es einige Zeit gedauert, bis ich den Dreh raus hatte und nicht immer mit dem Gaspedal am Bodenblech in die Kurven geknattert bin, nur um postwendend von der Strecke zu fliegen. Mittlerweile denke ich jedoch, dass genau dieser Umstand den Reiz von Milestone´s Rennsimulation ausmacht: Stürzen und lernen um immer ein Stückchen besser zu sein. Zumal sich Ride 4 ganz offensichtlich an bereits erfahrene Spieler der Spielreihe wendet.
Auf ein Tutorial wird verzichtet. Ich als Neuling werde nicht an die Hand genommen sondern ohne Umschweife ins kalte Wasser geworfen. Ebenfalls wird auf die Übersetzung technischer Kürzel verzichtet. Entweder man weiß es oder man weiß es nicht. Dann fuchst man sich im Laufe der Spielstunden irgendwie hinein. Nun ja, völlig allein gelassen wird der Spieler dann doch nicht. Bei jedem Event können wir vor dem Start unser Motorrad ein wenig an unsere Bedürfnisse anpassen. Hierzu können wir auch unter anderem Dinge wie das ABS einschalten, uns die perfekte Fahrlinie auf der Strecke anzeigen oder unser Motorrad automatisch an der richtigen Stelle bremsen lassen.
In der Theorie hört es sich schon fast zu schön an um wahr zu sein. Und genau dies bewahrheitet sich leider in der Praxis. Vor allem die automatische Bremse funktioniert nur in den freien Rennen. Während den verschiedenen Events muss der Fahrer noch immer manuell an der richtigen Stelle den Anker werfen, um nicht durch die Fliehkraft aus der Kurve herausgetragen zu werden.
Eine Hand voll kleiner Helferlein
Hilfreicher sind da auf jeden Fall die optimale Fahrlinie und die gekoppelten Bremsen. Wie es für eine waschechte Simulation üblich ist, werden die verschiedenen Facetten im zweirädrigen Motorsport authentisch auf den Bildschirm gezaubert. Demnach müssen auf der Rennstrecke sowohl die Vorderrad- als auch die Hinterradbremse in Einklang gebracht werden, um uns und unseren Supersportler zuverlässig agieren lassen zu können. Wird die gekoppelte Bremsfunktion ausgewählt, müssen nicht beide Bremsen separat betätigt werden, sondern sie packen gleichzeitig. So konnte ich mich im Rahmen des Tests auch immer mehr an den optimalen Bremsweg gewöhnen und so die Runden immer schneller beenden. Für mich definitiv eines der hilfreichsten Gadgets.
So komplex es sich mit den Bremsen an unserem Motorrad verhält, so komplex ist auch der Rest des Spiels. Ich kann das Zweirad zu einhundert Prozent an meine Fahrweise anpassen. Hierzu gehören unter anderem Punkte wie die Übersetzung der Kette, der Federweg der Gabel oder die Bereifung. Alle Änderungen wirken sich unmittelbar auf die Fahrphysik aus. Wie im echten Leben.
Und was bei unserem Sportgerät anfängt geht beim Fahrer nahtlos weiter. Im entsprechenden Menüpunkt kann die Körperhaltung angepasst oder entschieden werden, welcher Fuß beim Start den Boden berühren soll. Sind wir Links- oder Rechtshänder? Mit wie vielen Fingern betätigen wir die Kupplungs- und Bremshebel? Wirklich alles kann entsprechend unserer Vorlieben oder Gewohnheiten angepasst werden.
Das Herzstück der bockschweren Simulation
Wo wir gerade von Komplexität sprechen ist unbedingt das Herzstück von Ride 4 zu nennen: Der Karriere-Modus!
Das Hauptaugenmerk von Entwickler Milestone liegt definitiv hier und bietet den meisten Umfang. Zeitrennen, Überhol-Challenges und andere Herausforderungen stehen hier an der Tagesordnung. Wie wir es z.B. aus dem eingangs erwähnten Driveclub kennen, müssen erst einige Voraussetzungen erfüllt werden, um in der Karriere an weiteren Veranstaltungen teilnehmen zu können. Dies hört sich in der Theorie leichter an, als es in der Praxis schließlich ist. Nehmen wir beispielsweise das Zeitrennen. Um diese Herausforderung erfolgreich abschließen zu können, muss das Motorrad innerhalb einer bestimmten Zeit über die Ziellinie chauffiert werden. Auf dem Weg zum Ziel müssen wir jedoch durch verschiedene Tore fahren und vor dem Passieren eines dieser Tore die vorgegebene Mindestgeschwindigkeit nicht unterschreiten. Ansonsten hagelt es Strafzeiten die uns am Ende das Genick brechen. Ich habe im Laufe des Spiels wirklich einige Strafzeiten kassiert …
Leider ist der Karriere-Modus etwas langatmig. Am Anfang starten wir in einer von drei regionalen Ligen, um uns immer weiter vor zu kämpfen. Bis wir schließlich über die Welt-Liga zu den Final-Ligen gelangen. Neben den Herausforderungen ist der weitere Weg gespickt mit unterhaltsamen Dingen wie Schaurennen oder Einladungs-Events. Am Umfang gibt es also gar nicht viel zu meckern. Der ist gegeben. Die Spielstunden sammeln sich nur so. Langatmig ist Ride 4 (zumindest in der Karriere) nur deshalb, weil die gesamte Aufmachung etwas öde und sehr spartanisch gehalten wird. Es wird praktisch auf alles verzichtet und selbst die musikalische Untermalung will nicht so recht zünden. Obwohl sie mir wirklich gefällt. Nur nimmt das Spiel dadurch nicht wirklich an Fahrt auf. Es ist eher wie sachtes Fahren mit Tempo 60 auf einer Landstraße.
Zünden wollen aber die über 170 verfügbaren Motorräder unterschiedlichster Kategorien. Hersteller wie BMW, Kawasaki, Harley-Davidson oder Suzuki geben sich die Klinke in die Hand und warten beim virtuellen Händler unseres Vertrauens auf einen neuen Besitzer. Alternativ lassen sich einige Motorräder auch erspielen. Wobei wir früher oder später den Händler aufsuchen müssen, um an das entsprechende Motorrad für das bevorstehende Event zu gelangen.
Überraschend motivierend
Bis auf die etwas trist gestaltete Karriere habe ich an Ride 4 ansonsten nichts zu bemängeln. Der Umfang passt, die verschiedenen Events machen Laune und der eigene Ehrgeiz wird auf jeden Fall geweckt. Auch Schwächen in der KI oder hohe Frustmomente aufgrund des zu peniblen Strafsystems trüben keineswegs den Spielspaß. Am Ende war ich immer motiviert und die Bestzeit stets in meinem Köpfchen präsent.
Und wenn es mir einfach mal nach einer entspannten abendlichen Runde gelüstete, habe ich mich in ein klassisches Rennen oder Zeitfahren geworfen. Das geht zwischendurch immer und die Strecken laden auch gerade dazu ein. Hier wählte das Team von Milestone den klassischen Weg, So statten wir unter anderem den traditionellen Strecken Monza, Phillip Island oder den Nürburgring einen Besuch ab. Dank der tollen Wetterphysik und unterschiedlichen Tageszeiten machen diese Ausflüge auch optisch echt was her. Der Realismus ist also auch in puncto Rennkurs gegeben, da alle verfügbaren Strecken so auch in der Realität oft Schauplatz von oktanhaltigen Rennen sind.
Der Singleplayer ist also schon mal ordentlich. Werfen wir also mal einen Blick auf den Multiplayer-Modus der Rennsimulation. Dieser ist vorhanden aber sehr simpel gehalten. Es gibt sowohl öffentliche als auch private Lobbys in denen wir Einzelrennen mit bis zu 12 Spielern absolvieren können. Und trotz der Anpassungsmöglichkeiten finde ich es schade, dass keine eigenen Meisterschaften erstellt werden können. Auch lokale Koop-Duelle im Splitscreen sind Fehl am Platz. Schade eigentlich. Wenn auch nicht so tragisch. Wie gesagt, der Fokus liegt nicht auf der Online-Erfahrung. Ein netter Zusatz zum sowieso sehr umfangreichen Spiel ist der Mehrspieler-Part aber allemal.
Mein Fazit
Nun aber genug der Worte. Wie finde ich Ride 4 wirklich? Klar, es ist nicht alles Gold was glänzt aber die Simulation macht vieles richtig. Für Neulinge wie mich ebenso wie für wahre Profis. Alleine um den Karrieremodus zu komplettieren ziehen unzählige Stunden ins Land. Prinzipiell ist auch für jeden Spieler etwas dabei: Sei es die oft erwähnte Karriere, ein paar lockere Online-Duelle oder aber eine entspannte Feierabendrunde auf dem Nürburgring. Dabei macht der Titel auch optisch eine super Figur! Die Wetterphysik ist passend und überzeugt auf ganzer Linie. Dennoch hatte ich zu keinem Zeitpunkt mit der Performance zu kämpfen und der Spielfluss wurde nicht getrübt.
Dennoch muss ich erwähnen dass Ride 4 mit Sicherheit nicht für Jedermann gedacht ist. Eine hohe Frustrationsgrenze, viel Eigenmotivation und auch eine leicht masochistische Ader sind generelle Grundvoraussetzungen, um am Ende überhaupt so etwas wie Spaß empfinden zu können. Wer jedoch über das nötige Durchhaltevermögen verfügt, der wird am Ende auch mit Glückshormonen belohnt. So wie ich. Oft. Nach viel Quälerei.
Demnach ist Milestone´s Rennsimulation mehr als solide und hat ihre Daseinsberechtigung. Die positiven Aspekte überwiegen und ich kann Ride 4 allen unter euch empfehlen, die über die genannten Charaktereigenschaften verfügen und Lust auf ein bockschweres Rennspiel haben. Abseits der bekannten und leichten Arcade-Racer-Erfahrungen. Ihr seht, gewisse Parallelen zu einem Dark Souls liegen auf der Hand. Try and Error.
Im Test befand sich die PS4-Version des Titels.
-
8.5/10
-
7.5/10
-
9/10
-
8/10
Fazit
Ride 4 hat es wirklich in sich. Oft liegen Frustration und Freude nah beieinander. Aber genau dieser Umstand macht auch den Charme des Spiels aus. Entwickler Milestone sorgt für Realismus pur und wir als Spieler können einmal mehr die Luft der MotoGP schnuppern. Wir können hautnah erleben, wie sich Valentino Rossi und Konsorten fühlen müssen. Und trotz aller Herausforderungen macht Ride 4 einfach Spaß. Für Neulinge wie auch Ride-Veteranen.
Weitere Artikel
Dead Island 2 – Release früher als erwartet
Apex Legends – Festlichkeits-Trailer zeigt eine große Party
The Day Before – 4K RTX-Trailer zeigt was PC-Version auf dem Kasten hat